Steigert das Laufen in Höhenlage die Performance auf Meereshöhe?

Aktivität
Klinische Studien
22. September 2017

Es heißt immer, dass man bei einem Training in großer Höhe einen Vorteil gegenüber denjenigen hat, die auf Normalhöhe trainieren. Aber ist das wirklich wahr? Sehen wir uns einmal an, was die Wissenschaft dazu sagt.

Vor etwas mehr als einem Monat zog ich von Boston nach Denver, der Stadt, die den Spitznamen „Mile-High City” trägt. „Mile-High City” deshalb, weil die Stadt genau eine Meile, d. h. 1,600 Meter, über dem Meeresspiegel liegt. Obwohl ich mich darüber freute, den majestätischen Bergen und schier endlosen Wanderwegen so nahe zu sein, war ich weniger begeistert davon, die Auswirkungen dieser hohen Lage auf meine Trainingsroutine bewältigen zu müssen.
Ich war besonders beunruhigt, weil der Umzug mitten in das Training für meinen dritten 42 km Marathon fiel, den Portland Marathon am 8. Oktober. Langstrecken zu laufen ist schwierig genug, und ein Training in einer Luft, die über 17 % weniger Sauerstoff verfügt, als auf Normalhöhe ist eine zusätzliche Herausforderung. Ich hatte Bedenken und äußerte diese auch, aber es wurde mir wiederholt mitgeteilt, dass ein Höhentraining mich so fit machen würde, dass es für mich ein Leichtes wäre, einen PR (Persönlichen Rekord) aufzustellen, wenn ich für den Portland Marathon auf Normalhöhe zurückkehren würde.
Während ich mich die ersten Wochen durch meine Läufe in großer Höhe kämpfte, begann ich mich zu fragen, ob mein neuer Wohnort meine Laufleistung tatsächlich langfristig verbessern würde, oder ob er lediglich meine Läufe in Denver langsamer und zu einer größeren Herausforderung machen würde. Ich zweifelte an der weit verbreiteten Vorstellung und wandte mich der wissenschaftlichen Forschung zu.

Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2005 trainierten Elite-Biathleten in einer Höhe von 2050 Metern über dem Meeresspiegel. Nach 3 Wochen traditionellem Höhentraining steigerte sich die erythropoetische Aktivität – der Prozess, in dem rote Blutkörperchen gebildet werden und der folglich zu einem Anstieg der Gesamthämaglobinmasse und der roten Blutkörperchen führt. All dies kann die sportliche Leistung verbessern. Nur 16 Tage nach dem Abstieg jedoch glichen sich diese Werte wieder an die der Normalhöhe an, was nahelegt, dass der Effekt zeitlich begrenzt ist und auf lange Sicht gesehen keinerlei Vorteil bietet.
Eine ähnliche Studie, die im Jahr 1990 mit Ski-Langläufern durchgeführt wurde, ergab, dass 2 Wochen Höhentraining keine Verbesserungen der VO2 max mit sich brachten, der maximalen Sauerstoffaufnahme, die ein Mensch erreichen kann und ein nützlicher Indikator für die Fitness des Herz-Kreislauf-Systems. Was die Studie jedoch belegte, war eine Verbesserung der kurzfristigen Trainingsleistung, wahrscheinlich ein Ergebnis der erhöhten Pufferkapazität der Muskeln: Muskeln haben die Fähigkeit, Milchsäure zu neutralisieren, die sich während des Trainings anhäuft – und so Erschöpfungszustände zu verzögern. Die Forscher testeten allerdings nicht, wie lange diese Verbesserung anhält.
Alternativ dazu hat das Modell „Live high, train low” in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen. Hier leben Athleten in großer Höhe (ob nun tatsächlich oder simuliert) und trainieren in niedriger gelegenen Lagen. Im Jahr 2010 lebten acht 400-Meter-Läufer zehn Tage lang in einem „Höhen-Haus” in simulierter Höhe mit 15,8 % Sauerstoff, was einer Höhe von 2,134 Metern gleichkommt. Ihr Training im Freien absolvierten sie jedoch vollständig auf Normalhöhe. Eine zweite Gruppe von zehn 400-Meter-Läufern lebte und trainierte auf Normalhöhe. Die Gruppe des „Höhen-Hauses” zeigte zeitliche Verbesserungen im 400-Meter-Rennen, die Gruppe, die auf Normalhöhe lebte und trainierte, dagegen nicht.
Obwohl diese Studien im Allgemeinen auf einen leichten Vorteil des Höhentrainings hinweisen, der die Leistung auf Normalhöhe verbessert, ist nicht klar, wie maßgeblich dieser Vorteil ist und wie lange er anhält.

Womit sich diese Studien nicht befassen, ist, wie sich ein Höhentraining „anfühlt“, wenn man es mit einem Training auf Normalhöhe vergleicht. Für mich persönlich war es überraschend schwierig. In den ersten zwei Wochen, in denen ich mich den Cherry Creek Trail entlangschleppte, hatte ich das Gefühl, als würden meine Lungen explodieren, obwohl ich schon so langsam lief, dass es wehtat. Dieses Gefühl ist größtenteils verschwunden, und ich finde bei meinen Läufen nun einen Rhythmus, aber meine Geschwindigkeit liegt eher bei 10 Minuten/Meile und darüber als bei meiner vorherigen Geschwindigkeit von 9:15 Minuten/Meile auf Normalhöhe. Ich habe auch herausgefunden, dass meine Ausdauer bei langen Strecken erheblich nachgelassen hat. Gelinde ausgedrückt, kann das entmutigend sein, aber es macht Sinn, dass meine nachhaltige Geschwindigkeit um einiges langsamer ist, wenn meinem Körper 17 % weniger Sauerstoff für Energie zur Verfügung stehen.
Und da wir gerade dabei sind: Ich habe jetzt ein bisschen mehr Hoffnung, dass zehn Wochen Höhentraining sich während meines Marathons auszahlen, da ich nur 24 Stunden vor dem Lauf eintreffe. Zumindest bin ich zuversichtlicher, dass der höhere Sauerstoffanteil in der Luft zu einem einfacheren und angenehmerem Lauferlebnis beitragen wird.
Ganz sicher melde ich mich nach dem 8. Oktober mit einem ehrlichen Bericht zurück – hoffentlich mit einer begeisterten Schilderung darüber, wie ich mir im Handumdrehen einen glänzend-neuen PR geschnappt habe, den ich mit zurück in die Berge nehme.