Eskapismus: gefährlicher Trend oder eine dringend benötigte Pause von der Realität?

2. Februar 2021

Was ist Eskapismus und wie gesund oder schädlich ist dieses Verhalten? Erfahren Sie mehr dazu.

Eska-was? Der Begriff kommt einem eher unbekannt vor, in Wirklichkeit ist die Praxis aber durchaus gängig. Wir scheinen alle hin und wieder mal eine Pause von der realen Welt zu gebrauchen. Gerade in dieser ungewissen und stressigen Zeit steigt das Verlangen immens, die Welt da draußen für einen Moment zu vergessen und abzutauchen. Die Möglichkeiten, sich abzulenken oder eine akute Misslage zu verdrängen sind nahezu endlos. Die einen meditieren, die anderen ertränken ihren Frust in Alkohol oder futtern unentwegt Schokolade, andere wiederum schaffen sich eigene Scheinwelten durch Videospiele. Das alles hat mit Eskapismus zu tun. Die Frage ist, wann handelt es sich noch um eine gesunde Entspannungsmethode und ab wann beginnt eine gefährliche Realitätsflucht?

Was ist Eskapismus?

Die offizielle Definition im Duden beschreibt eskapistisch als „vor der Realität und ihren Anforderungen in Illusionen oder in Zerstreuungen und Vergnügungen ausweichend“.
Eskapismus oder Wirklichkeitsflucht ist also eine mentale Ablenkung von der Realität und den unangenehmen oder langweiligen Aspekten des täglichen Lebens in eine imaginäre Scheinwirklichkeit, in der alles besser ist. Dies geschieht typischerweise durch Aktivitäten, die mit Fantasie, Illusionen oder Unterhaltung zu tun haben.

Formen von Eskapismus

Wenn von Eskapismus die Rede ist, hat es oft eine negative und abwertende Assoziation. Man flüchtet vor der Wirklichkeit, mit der man nicht zurechtkommt. Dabei ist ein gewisses Vermeidungsverhalten normal und sogar gesund, wie die Psychologie bestätigt. Die Gedanken zeitweise von den Problemen zu befreien und ihnen eine Pause zu gönnen, kann tatsächlich hilfreich sein, wenn man mehrere Aufgaben auf einmal unter einen Hut zu bringen versucht.
Der norwegische Psychologe Frode Stenseng schrieb etwa, dass Eskapismus nicht immer etwas Negatives sein muss und differenzierte zwischen zwei Formen von Wirklichkeitsflucht: die negative „Selbstunterdrückung“, bei der der Mensch vor unangenehmen Gefühlszuständen flieht, hervorgerufen durch veränderte Lebensbedingungen oder negative Erlebnisse. Die zweite und positive Form des Eskapismus beschreibt Stenseng als „Selbstexpansion“, bei der der Mensch durch die Aktivität positive Erfahrungen sammelt und sich selbst neu entdeckt.
 
Eskapismus ist bei weitem keine neuartige Erscheinung des modernen Lebens, denn die Menschen haben seit jeher Alkohol und Drogen konsumiert, sich zur Bewusstseinserweiterung in Trance begeben oder Traumwelten in Kunst und Wort erschaffen, um so einer mancherorts brutalen Realität zu entkommen. Dennoch ist Eskapismus heute so aktuell wie noch nie, denn über die letzten Jahrzehnte wurden so viele Produkte von der Medien- und Elektronikindustrie bereitgestellt, die jedem eine Wirklichkeitsflucht von bisher nie gekanntem Ausmaß ermöglichen.

Eskapismus findet sich in verschiedenen Aktivitäten wieder:

  • Tagträumen
  • Meditation
  • Bücher, Filme und Serienmarathons
  • Videospiele
  • Medienkonsum wie Social Media
  • Flucht in die Arbeit
  • Haltloser Konsum
  • Übermäßiges Essen
  • Alkohol- und Drogenkonsum

Warum wollen wir der Realität entfliehen?

Die Flucht vor der Realität liegt oft darin begründet, sich nicht mit den grundlegenden Dingen des Lebens beschäftigen zu müssen, sei es persönliche Erfüllung, Beziehungen oder die generelle Zufriedenheit mit der eigenen Lebenslage im Vergleich zum vorgestellten Lebensentwurf. Es gibt aber auch andere Gründe, die weitaus harmloser sind. Entspannung vom Alltag, Suche nach Erkenntnis oder auch nur der einfache Wunsch nach schierem Vergnügen können mit Eskapismus befriedigt werden. Bücher, Filme und Märchen lassen uns in Scheinwelten eintauchen, die fantasiereicher sind als ein langweiliger Tag im Büro. Wir lernen Helden kennen, mit denen wir uns identifizieren können und durch die wir ein Abenteuer erleben, das es so nicht gibt. Auch Meditation kann eine positive Art von Eskapismus darstellen, die der Entspannung und Bewusstseinslehre dient. Zum Vergnügen ein TikTok-Video mit verrückten Tanzeinlagen zu erstellen, die wir uns so nie trauen würden, auf einer Firmenveranstaltung vorzuführen. All das können Gründe für eskapistisches Verhalten sein.

Wann wird Eskapismus zur Gefahr?

So harmlos eskapistische Aktivitäten auch erscheinen mögen, ist die Grenze zwischen Ablenkung zur Entspannung und Weltflucht nicht immer ganz klar. Entscheidend ist hier die Motivation für das Verhalten, also das Warum. Geht es um eine kurze Auszeit, um sich zu entspannen, bevor es wieder an die Herausforderungen des täglichen Lebens geht? Ist es die Suche nach Vergnügen? Oder ist man an einem verzweifelten Punkt im Leben angekommen bzw. befindet man sich in einer verzwickten Situation, der man versucht, zu entkommen?
Ein weiterer Faktor ist das Ausmaß des Verhaltens. Denn einerseits sprechen wir hier von einer Art Stimulans zur Entspannung und zum Vergnügen. Andererseits handelt es sich hier um ein potentes Mittel zur Vermeidung und Verdrängung von vorliegenden Problemen. Denn diese gilt es zu konfrontieren und Lösungen zu finden, statt davonzulaufen oder wie ein Strauß, den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, das Problem würde sich in Luft auflösen. Im äußersten Fall kann Eskapismus zu einem Suchtverhalten führen, wie exzessivem Online-Gambling, Alkohol- und Drogenmissbrauch mit schwerwiegenden Folgen für die physische und psychische Gesundheit. Wenn die Verdrängung des Alltags zu extrem wird, kann es sogar zu einem kompletten Realitätsverlust kommen.
Woher weiß man also, wann es ein Problem ist? Wir haben dazu einen Profi gefragt. Die Psychologin, Dr. Marissa Kantor Dennis, sagt: „Es ist ein schmaler Grat zwischen Bewältigungsstrategien, die das Leiden reduzieren, und gut gemeinten Strategien, die das Leben noch schwieriger machen können.“ Auf die Frage, wie man eine problematische Situation erkennt, sagt sie: „Das ist eine wirklich gute Frage … es ist manchmal schwierig für die Person, die sich eskapistisch verhält, zu erkennen, dass sie Schaden anrichtet. Es ist so ähnlich wie beim Suchtverhalten, wo es oft ein enger Freund oder ein Partner ist, der sich über ein Verhalten Sorgen macht, das das Leben der Person auf signifikante Weise beeinträchtigt. Nur ist in dieser Zeit der sozialen Isolation dieser Freund oder Partner vielleicht nicht da.“

Wie geht man mit Eskapismus um?

Sich ein Problem einzugestehen ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Tatsächlich müssten wir uns einmal vor Augen führen, wie viel Zeit wir aufwenden, nicht an der realen Welt teilzunehmen. Wie wäre es mit einem kleinen Reality-Check?
An einem Tag ist der Durchschnittsmensch ungefähr 16 Stunden wach, 8 davon verbringt er oder sie typischerweise in der Arbeit. Was passiert denn in der restlichen Zeit? Wie viel Zeit wird in den sozialen Medien oder generell mit Browsen im Internet verbracht? Wenn Sie sich draußen in der realen Welt bewegen, haben Sie Ihre Kopfhörer auf oder starren Sie auf Ihr Telefon, um sich abzuschirmen? Wie viel Zeit geht fürs Fernsehen oder Videospielen verloren? Und schließlich, wie oft steht man möglicherweise unter Einfluss von Alkohol bzw. anderen Suchtmitteln?
Machen Sie eine Bestandsaufnahme und sehen Sie, wie viel Zeit Sie aktiv und präsent in der realen Welt verbringen.
Während Sie versuchen, zu einer realistischen Einschätzung zu kommen, wie und womit Sie Ihr Leben verbringen, sollten Sie wissen, dass die Auswertung Ihrer Gesundheitsdaten Ihnen manchmal mehr sagen kann, als Sie sich selbst eingestehen. Beeinträchtigen Ablenkungen wie ein Serienmarathon oder Alkohol Ihren Schlaf? Bedeutet es, dass Sie durch die Zeit, die Sie mit Videospielen verbringen, nicht genug Zeit an der frischen Luft sind oder sich weniger körperlich betätigen? Nehmen Sie aufgrund Ihrer Vermeidungshaltung oder Ihrer Ausschweifungen auf ungesunde Weise an Gewicht zu?
Nachdem Sie Ihr Verhalten genauer unter die Lupe genommen haben, versuchen Sie, die Ursache herauszufinden. Es ist wichtig, zu erkennen, dass Eskapismus nicht die Lösung für die eigenen Probleme ist, sondern nur eine zeitweilige Ablenkung und Aufschiebung. Dr. Dennis fügt hinzu: „Es geht darum, eine Balance zu finden, die Erleichterung bietet, ohne mehr Leiden zu verursachen.“ Sollten Sie also eine Suchtgefahr oder Suchtverhalten bei sich bemerken, holen Sie sich unbedingt professionelle Hilfe, wenn Sie merken, dass Sie es allein nicht bewältigen können.

Positive Alternativen zum Eskapismus

Eine Entspannung und zeitweilige Ablenkung von der Welt und Ihren möglichen 99 Problemen ist nicht nur sinnvoll, sondern auch gesund und ratsam. Bewusste Entspannung können Sie jedoch erfahren, ohne sich in eine andere Welt zu flüchten. Dazu eignen sich Atemübungen, Meditation, autogenes Training, Yoga und andere sanfte Entspannungstechniken. Sie lernen, zu entspannen und dabei bei sich zu bleiben, statt abzudriften.
Oder Sie flüchten lieber in die Natur und lassen dabei die Kopfhörer zu Hause. Schon ein kurzer Waldspaziergang senkt das Stresshormon Kortisol und bringt Ruhe und Entspannung.
Auch kreative Aktivitäten helfen Ihnen zu entspannen und dabei präsent zu bleiben. Warum gibt es wohl Ausmalbücher für Erwachsene?

Fazit:

Entspannung und Abschalten sind in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Dienen sie als Ausgleich zu einem stressigen Job, zu vielen Verpflichtungen oder als Unterhaltung zum puren Vergnügen, sind eskapistische Aktivitäten durchaus normal und sogar entspannungsfördernd. Ihre Probleme werden sie aber nicht lösen. Dazu bedarf es Konfrontation mit der Außenwelt, mit sich selbst und ein lösungsorientiertes Handeln, auch wenn es manchmal schwer fällt.
Wir wollen Ihnen jetzt aber nicht den Spaß komplett verderben. Alles in Maßen ist entspannend, unterhaltsam und sogar gesund fürs mentale Wohlbefinden. Achten Sie jedoch auf sich, übertreiben Sie es nicht und bleiben Sie öfters im Hier und Jetzt.