Wie entstehen Erinnerungen?

Schlaf
Klinische Studien
10. März 2017

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es kommt, dass ein Konzertpianist einfach vor einem vollen Saal Platz nimmt und aus dem Gedächtnis ein Klavierkonzert von Tschaikowski runterspielen kann? Oder dass ein Fußballer den idealen Schusswinkel kennt, mit dem er den Ball jedes Mal zwischen den beiden Pfosten im Netz versenkt? Oder auch nur, dass Ihr Fuß den nötigen Druck auf das Bremspedal findet, wenn Sie um eine Kurve fahren?

Einer unlängst in Nature Neuroscience veröffentlichten Studie zufolge liegt die Erklärung für die Entstehung des motorischen Gedächtnisses möglicherweise im Schlaf!
Laut der Studie, die in Tierversuchen an Mäusen durchgeführt wurde, werden „Im REM-Schlaf werden während der Entwicklungsphase und des Bewegungslernens neu gebildete postsynaptische Dornenfortsätze von Pyramidenzellen des 5. Lappens im motorischen Kortex von Mäusen ‚gestutzt‘.“ Was heißt das im Klartext? Wenn sich Mäuse im REM-Schlaf befinden, wird der auch „Dornenfortsatz“ genannte Neuwuchs auf den Neuronen „gestutzt“ – ähnlich wie es der Gärtner mit dem Geäst oder den Wurzeln eines Baumes tut. Ein Teil des Neuwuchses wird stehen gelassen, der andere wird weggeschnitten, um die Wucherung der nach und nach neu gebildeten Dornenfortsätze zu vermeiden.

In der besagten Studie entzogen die Wissenschaftler einer Gruppe von Mäusen den REM-Schlaf und verglichen diese danach mit einer Gruppe von Mäusen, die wie gewohnt schlafen konnten. Bei den Mäusen der Kontrollgruppe wurde festgestellt, dass einige der von den Neuronen herausgebildeten Dornenfortsätze gestutzt wurden, während andere kräftig weiterwuchsen. Bei der Gruppe, denen der Schlaf entzogen wurde, fand dieser Vorgang des Stutzens und des kräftigen Wuchses nur eingeschränkt statt.
Was bedeutet das also für den Menschen? Die Studie beweist im Prinzip, dass REM-Schlaf durch die Reduktion „überschüssiger neuronaler Plastizität“ mehr Speicherkapazität zum Ausbau des motorischen Gedächtnisses schafft. Und mehr noch: Der REM-Schlaf trägt während der Entwicklung und nach dem Lernen zur Festigung dieser neuen Dornenfortsätze bei. Das heißt, wenn man für eine schwere Prüfung büffelt oder eine neue Tätigkeit erlernt – z. B. Salsa tanzen – ist ausreichend Schlaf möglicherweise ein wichtiger Faktor für die Festigung der neu gebildeten Informationen im Hirn!
In einem auf ars Technica UK veröffentlichten Artikel wird erläutert, dass zu wenig REM-Schlaf während der Entwicklung die Hirnreifung negativ beeinflusst und dass die jüngste Studie den Forschern neue Einblicke in die Funktionsweise des Hirns verschafft hat. „Ohne ausreichend REM-Schlaf während der Entwicklung“, so die Forscher, „kann das kindliche oder adoleszente Gehirn möglicherweise die Verbindungen zwischen den Neuronen nicht so einstellen, dass es das Gelernte behält.“ Anders ausgedrückt: Gesunde Schlafgewohnheiten und genügend REM-Schlaf Nacht für Nacht sind enorm wichtig für die Beibehaltung neu gelernter Aufgaben.
Es ist längst bekannt, dass zwischen Schlaf und Gedächtnis eine entscheidende Beziehung besteht. In einem Blog auf Harvard Health Publications erklärt Dr. Howard LeWine, M.D.: „In Bezug auf das Gedächtnis gilt für den Schlaf das ‚Goldlöckchen-Prinzipʼ – es darf weder zu viel noch zu wenig davon geben.“ Er verriet, dass mehr als neun Stunden und weniger als fünf Stunden Schlaf gleichermaßen für schlechtere Ergebnissen bei Hirntests mit verantwortlich waren. Außerdem bestätigt ein Artikel der *American Physiological Society: „Über 100 Jahre Forschung haben die Tatsache erwiesen, dass Schlaf den Gedächtnisaufbau fördert.“ Diese jüngste Studie ist also nicht deshalb so faszinierend, weil sie bestätigte, dass Schlaf einen Einfluss auf das Gedächtnis hat, sondern vielmehr, weil sie uns besser verstehen hilft, wie genau dieser Vorgang abläuft und welcher Nutzen sich dadurch für unseren Alltag ergibt.
Wenn Sie also wieder einmal etwas Neues lernen, sorgen Sie dafür, dass Sie genügend Schlaf bekommen. Die vollen acht Stunden Schlaf und das Erreichen der REM-Phase sind möglicherweise der Schlüssel dazu, sich all die neuen Tanzschritte einzuprägen!